Leider blieb uns nicht genug Zeit, um Sulawesi, das wie ein Farbklecks im Meer liegt, über Land zu duchqueren. Die Reisegeschichten über das Gebiet der Toraja, das im Süden der Insel liegt, hatten uns nämlich so gefesselt, dass wir möglichst schnell dorthin kommen wollten und deswegen wieder einmal ein Flugzeug betraten. Direkt im Anschluss ging es weiter mit dem Nachtbus, der uns durch die Serpentinen des Berglandes schaukelte, bis wir endlich in Rantepao landeten. Dort quatierten wir uns in einem schönen Homestay ein, dessen netter Besitzer diverse Tipps und Geschichten über bzw. aus der Region auf Lager hatte. Um der Müdigkeit zu trotzen tauchen wir am ersten Tag mit einem kleinen Spaziergang durch die Stadt in die märchenhafte Welt der Toraja ein. Passend zum Kultur- und Religion-Mix Indonesiens stolperten wir zuerst in eine große muslimische Hochzeit bevor wir in einem klitzekleinen Museum Informationen über dir außergewöhnlichen Bestattungsrituale der einheimischen Halb-Christen bekamen. Zumindest glauben wir, dass uns die etwas stark vom indonesischen Akzent gefärbten – wahrscheinlich englischen – Worte des Guides davon berichten sollten. 🙂 Beim Anblick der Bilder, hölzerner Totenfiguren und Mumien bildeten sich in unseren Köpfen aber sowieso ganz eigene Vorstellungen… Diese machten uns noch gespannter darauf, wie das alles zu einer Feierlichkeit zwischen den traditionellen Toraja-Häusern, die wie Wikingerschiffe an den Enden spitz und erhaben in den Himmel ragen, verschmilzt!
Am nächsten Tag holte uns der Guide Yuspan ab, um mit uns zu einem der größten Begräbnisse des Monats zu fahren. Wir hatten „Glück“: Eine reiche Familie hatte mehrere Hundert Gäste geladen, um den Abschied von der Seele der toten Mutter zu feiern. Nachdem wir uns mit einem typisch indonesischen Mitbringsel – Zigaretten – ausgestattet hatten, erzählte uns Yuspan mehr über den Glauben der Toraja. Die Bevölkerungsgruppe, die die Christianisierung vor Hundert Jahren nur milde interessierte, übernahm damals einen kleinen Teil der aufgezwungen Rituale und blieb großteils ihrem Glauben, dem Aluk, treu. Nach dem Aluk ist das menschliche Leben nur eine Übergangszeit bis die Seele in „Puya“ zum Ende ihrer Reise kommt. Da dies allerdings erst nach einer, manchmal jahrelangen, Ruhephase passiert, wird der Körper nach dem Tod mit Formaldehyd behandelt und in einem Sarg aufbewahrt. Der jetzt als „krank“ bezeichnete Mensch lebt weiterhin als Mitglied der Familie im Südraum weiter, wo er natürlich auch immer wieder mit Essen und neuer Kleidung versorgt wird. Haben die Angehörigen das nötige Kleingeld gesammelt und die Vorbereitungen fürs Begräbnis abgeschlossen, kann die Reise nach Puya losgehen. Da dies zu Fuß aber viel zu lange dauert, soll ein, oder am besten gleich 30 Büffel, dafür sorgen, dass Großmutter schneller ihm Reich der Ahnen, das „irgendwo im Süden liegt“, ankommt. Und weil man in Sulawesi ganz offensichtlich auf tote Tiere steht, wird geopfert was das Zeug hält!
Dieses Wissen sollte nun, am dritten Tage des Begräbnisses, dem großen Opferungstag, mit unvergesslichen Eindrücken bestückt werden. Ehrfürchtig betraten wir das Gelände hinter dem Anwesen der Familie, auf dem sich rot-schwarze Zuschauer Tribünen um den Opferungsplatz reihten und einen hervorragenden Blick auf den Sarg verprachen, der auf einer Bühne in der Mitte thronte. Wären die vielen Büffel, die mittels Nasenring an ihren Aufpasser gebunden waren, nicht gewesen, hätte man wohl eher denken können, auf einem Festival gelandet zu sein. Lagepläne verrieten wo sich das Empfangsgelände, die Bühne und sonstige Einrichtung befanden, während Einweiser halfen den Platz bei der richtigen Tribüne zu finden. Im Matsch des Opferungsplatzes quitschten die Flipflops der spielenden Kinder und aufgeregten Erwachsenen, die T-Shirts mit dem Konterfei der Person, deren Körper seit Jahren in Formaldehyd im Sarg ruhte, trugen. Wir überreichten unser Geschenk dem Sohn/Neffen/Schwiegerenkel – zugegeben, wir wissen es bis heute nicht – und schlenderten über den großen Platz auf denen Büffel, mit weißen Zahlen besprüht, ihrem Schicksal ausgeliefert waren.
Während im Hintergrund der Zeremonienmeister die Nummern aufrief, für die der Daumen in ein paar Minuten nach unten zeigen würde, trotteten die mächtigen Tiere unwissend auf und ab. Verloren in der Ruhe vor dem Sturm, in der die Form der weißen Farbe auf der Haut über Leben oder Tod entschied, ließen wir uns noch zu einem Foto mit DEM Albinobüffel überreden. Das Tier war ein Mysterium, vor allem was Farbe und Preis anging: In vier Tagen wurden uns Preise zwischen 100 und 500 Millionen Rupien (7.000-35.000 Euro) zugetragen! Sein Ende war natürlich schon besiegelt, denn teures Blut gilt als der ICE nach Süden und somit wurde der Büffel, dessen warme Haut wir gerade noch berührt hatten als erstes auf den Platz geführt. Währenddessen brachten wir uns auf einer Tribüne vorsorglich in Sicherheit, da die Tiere im Todeskampf auch gerne mal ausbüchsen. Hunderte Augen, die meisten davon vor einer Kamera oder einem Handy, starrten auf den Vierbeiner dem ohne große Ankündigung die Kehle aufgeschlitzt wurde. Schwungvoll zog der Mann sein kleines Messer aus dem Gürtel und direkt durch des Tieres Hals, in dem eine klaffende Wunde zurückblieb, aus der das tiefrote Blut im Ryhthmus des Herzschlages herausspritzte. Der Büffel, dem der Verlust des Lebens wohl mit jeder Minute klarer wurde, war völlig erstarrt und es schien, als ob aus seinen Augen die Schreie kamen, die ihm der Schnitt durch die Kehle verweigerte. Während in unsere gedankliche Ohnmacht langsam bedrückende Überlegungen schlichen, fiel das Tier seitwärts zu Boden, wo sein Lebenssaft die weiße Haut schnell dunkelrot färbte. Ein jähes aufbäumen zerstörte sogleich die Hoffnung, dass es mit dem Todeskampf nun vorbei sei. Doch lange dauerte es nicht mehr, bis die Kraft endgültig aus den Beinen wich und der Büffel seiner Blutarmut erlag… Noch bevor die letzten Atemzüge getätigt waren, war auch schon der zweite Büffel auf der Einbahnstraße nach Puya. Um den Platz, auf dem aus warmen Leben ein kalter Tod gemacht wurde, standen so viele Menschen, deren offensichtlich endlose Sensationsgeilheit gerne Aug in Aug mit dem verendenden Tier stand. Die Kameras schienen wie Realitätsfilter, die das Geschehen in einer virtuellen Welt von unangenehmen Emotionen befreiten. Thomas dagegen blickte der Wahrheit ins Gesicht und kämpfte sogleich mit seinem Mitgefühl, das ihn auch blutleer fühlen ließ. Als er den roten Tamarillo Saft vom Frühstück auf den weißen Stufen der Tribüne verteilte, war Yuspan mit einem „Tidak apa apa!“ (Kein Problem!) gleich zur Stelle und platzierte uns im VIP-Bereich zur Erholung.
Fotos zur Opferung der Büffel. ACHTUNG! Auf diesen Bildern ist viel Blut zu sehen.
Wer nach Büffel Nummer 5 nicht gegangen war, hatte sich mit dem Gemetztel abegfunden. Die Toraja, die jetzt erst richtig warm wurden, jubelten bei harten Todeskämpfen: Je öfter das Tier versuchte wieder aufzustehen, desto lauter lachte das Publikum. Von einer ehrfürchtigen Atmosphäre ob des wichtigen Ritus‘ war schnell keine Rede mehr! Ohne auf den Tod des gerade geopferten Büffel zu warten, ging man schon zum nächsten über. Der Matsch, der bald mit Zigaretten, Plastikbechern und -verpackungen übersäht war, triefte vor Blut und die toten Körper stapelten sich. In der Todeslust mussten auch diverse Schweine, ein Pferd, eine Kuh und ein Reh ihr Leben lassen. In den Ohren hallten sie schrecklichen Schreie der Schweine, das Summen der Fliegen und das Lachen der Leute. Dazu stieg einem der verbrannte Geruch der eben abgeflämmten Schweinehaut in die Nase, während vor den Augen die Schlachtermesse auf Büffelkehlen trafen und Kinder Karten spielten. Die Reizüberflutung paarte sich mit einer gewissen inneren Taubheit, mit der wir schlussendlich auf das Schlachtfeld blickten. Zwischen Exkrementen, Erde, Blut und Plastikmüll waren aus den eben so mächtigen Lebewesen Waren geworden: Fleisch fürs Abendessen, Büffelhörner als Deko fürs Haus und Büffelleder.
Fotos zur Opferung der Büffel. ACHTUNG! Auf diesen Bildern sind viele tote Büffel zu sehen.
Schnell rückten die männlichen Angehörigen der Familien an, die einen Büffel gespendet hatten. Ausgestattet mit Messern jeglicher Art wurden die Häute feinsäuberlich vom Fleisch getrennt. Wie die Ameisen zerlegten sie die Tiere und transportierten Stück für Stück die Beute ab bzw. ließen liegen, was unbrauchbar war. So wurde aus einem Huf uns einer Schnur schnell ein Kinderspielzeug gefertigt… Währenddessen überblickte die Schwester der verstorbenen Frau die Zeremonie vom Thron des Todes, als wäre es die Wartehalle nach Puya!
Fotos zur Opferung der Büffel. ACHTUNG! Auf diesen Bildern sind gehäutete Büffel zu sehen.
Geplättet vom eben Erlebten verließen wir die Feierlichkeiten, um in den weniger blutigen Teil des Nachmittages überzugehen. Da bei den Toraja ja weder Seele, noch Köper nach dem irdischen Leben zu Asche und Staub zerfallen, muss ein Grab mit Ausblick her! „Unter der Erde ist es doch viel zu beengt, da sieht man ja nichts“, erklärte uns Yuspan mit Blick auf die hängenden Felsengräber. Deswegen wird in Bäumen, Felsen und Häusern bestattet, je höher desto besser. Grabraub sei Dank landen heutzutage die formaldeyd-getränkten Körper im Grabhäuschen mit verschließbarer Tür. Die historischen Stätten in Lemo und Kete Kesu zeigten aber zerfallene Särge, die teilweise in Höhlen hingen, wo man sich im Dunkeln schon mal unabsichtlich auf einen Totenkopf am Boden abstütze! Dazu kamen große Galerien der berühmten Totenfiguren, Tao tao, die jeder Verstorbene beim Begräbnis erhält. Bei der Besichtigung eines Baumes in dem Säuglinge, die noch keine Zähne und somit keine Sünden hatten, bestattet waren, hatten wir wohl die außergewöhnlichste Grabanlage vor Augen…
Zwischen so viel Tod strahlte das Leben von den Reisfeldern: Die Büffel suhlten sich im Wasser und ganze Dörfer halfen zusammen, um all die per Hand erledigten Schritte der Reisernte zu schaffen. Das Nationalgericht Papiong spiegelte die Liebe der Einheimischen zum Fleisch wieder: Ein großes Stück Bambus vollgestopft mit Huhn in Kokossoße. Die Büffel- bzw. Schweinevariante hätten wir an diesem Tag wohl nicht aus unseren Tellern ertragen…
Außerdem bat uns der „Jesusberg“ auf dem eine angeblich noch größere Statue des gleichnamigen Mannes als auf dem Zuckerberg steht, einen schönen Ausblick auf das Toraja Land. Warum die Schüler einer Schulklasse in einem Kreis zusammensitzend Lieder sangen und Schilder mit Aufschriften wie „Menopause“, „Coitus“ und „Eileiterschwangerschaft“ trugen, werden uns unsere europäischen Gedanken wohl nie erklären. 🙂 Den Abschluss dieses intensiven Tages bildete ein Besuch beim Toraja International Festival, wo Tanzgruppen diverser Länder die Aufführung der nächsten Tage zwischen den traditionellen Toraja-Häusern probten.