Abenteuer Sulawesi II – Leben um zu sterben: Im märchenhaften Land der Toraja (Teil 2)

An Samstagen wandelt sich der kleine Marktplatz in Rantepao zu einer Goldgrube: Wer einen Büffel braucht – und von denen gibt es in der Begräbnissaison August besonders viele – kommt vormittags hier her, um sich zu holen, was der Geldbeutel hergibt! Geschwungene, große Hörner, große Statur und weiße Hautfarbe – das ist hier der direkte Fahrschein ins Reich der Toten. Wer es geschafft hat in Papua eine Miene zu leiten oder in Jakarta in der Regierung zu sitzen, sucht nach den Ferraris unter den Büffeln, welche sich besonders durch ihr schwarze Musterung auf der hellen Haut und blaue Augen auszeichnen. Wir mischten uns unter die, vorwiegend männlich dominierten Verhandlungen und suchten uns zwischen den Tieren, die genauso ruhig wie mächtig sind, Wege übers Feld. Die Aufpasser, von denen ein Albinobüffel an die drei hat, wichen den Vierbeinern nicht von der Seite und beobachteten in der Langsamkeit indonesischer Zeit das Treiben.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Natürlich konnte man hier auch gleich Schweine für die nächste Opferung erstehen. Die tierquälerische Art und Weise diese Lebenwesen in Säcken zu halten oder, noch viel schlimmer, fest an Babmusstäbe zu binden, schockierte uns so sehr, dass wir das Gelände schnell verlassen mussten. Bei den herzzerreißenden Schreien und resigniert blickenden Augen der Schweine hätte man ihnen fast gewünscht, schnell nach Puya zu kommen. Doch der Fischmarkt bestätigte uns dann endgültig, dass die Toraja einen gewissen Hang zur Tierquälerei haben: Fische, die in Körben liegen, in denen sie alle paar Minuten mit Wasser bespritzt werden, damit sie gerade noch leben, fallen wohl nicht unbedingt unter „artgerechte Haltung“! Deswegen drängelten wir uns schnell durch die engen Gänge, vorbei an Kleidung, Plastikspielzeug, Gewürzen und Kaffee, nach draußen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Nach einer kurzen Pause ging es direkt weiter im Begräbnis-Programm! Denn nachdem so viel Blut am Vortrag geflossen war, konnte Großmutter endlich auf Reisen gehen. Und so machten wir uns erneut, in ungewisser Erwartung, was an diesem Tag passieren würde, auf zur großen Bestattung. Schon von der Straße hörte man die Gesänge und Ausrufe, die die Verwandschaft mit Tänzen kombiniert zu Ehren der Toten in die Luft trugen. Großteils weiß gekleidete Personen wuselten um den Sarg der auf der blutgetränkten Erde stand und probierten Selfies zu machen, ohne über die letzten Reste der geopferten Büffel zu fallen. Dann wurden noch schnell die großen Hüftknochen, an denen die Fliegen das Festmahl ihres Lebens hatten, zur Seite geräumt, bevor der große Umzug beginnen konnte. Während eine unbestimmte Anzahl an Personen versuchte den großen Aufbau, in dem sich der Sarg befand, auf die Schultern zu heben, kam das ewige Kind im Indonesier besonders stark durch: Unter lautem Gelächter brach immer wieder eine Seite weg, die den Sarg unsanft auf den Boden beförderte. War Omama wieder geschultert, rannten alle mit erheiternden Schreien los, bis man sich wieder irgendwo verfing oder im Matsch stecken blieb. In der Trauerphase hängen zu bleiben, konnte man den Toraja definitiv nicht unterstellen… Allen voran zog eine Gruppe mit der Tao Tao, die sehr detailgetreu geschnitzt wurde und die Verstorbene festlich gekleidet und mit dem Nationalschuhwerk, dem Flip-flop, zeigte.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Die ausgelassene Parade kam schließlich hinterm Anwesen, beim Gäberhaus zu stehen, wo eine Schlacht mit Wasserbechern das Ende einläutete. Es fanden sich sofort unzählige Hände, die den Sarg, wie Ameisen über die steilen Stufen bis zum endgültigen Aussichtspunkt trugen. Dort wartete schon die Familie, um eine kurze Messe, den christlichen Part des Festes, abzuhalten. Wir standen mit dem Fußvolk am Ende der Treppen, die ungewollt eine bildliche Repräsentation der sozialen Klassen in der Gesellschaft der Toraja anmuteten. Und es wäre nicht Indonesien gewesen, hätte nicht auch noch ein Eisverkäufer mit der mechanisch dudelnden Musik seine Ware an den Trauergast gebracht. Bevor wir auf unseren Scooter stiegen, verweilten wir noch ein paar Minuten auf dem Opferungsplatz auf dem nun eine bedrückende Ruhe herrschte. Der Vergänglichkeit von Gefühlen, Zeit und Leben trotzten ein paar Hörner, die, verlassen vom soeben noch vor Kraft strotzenden Besitzer, schicksalsergeben am Boden lagen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Durch wunderschöne traditionelle Toraja-Dörfer führte uns der Weg wieder zurück nach Rantepao, wo der freundliche Besitzer des Homestays, Yacobus, zu einem spontanen Büffel-BBQ am Gehsteig lud. Zum alltäglichen Fleisch – das in der Begräbniszeit zur Hauptnahrungsquelle wurden – gab es Bier, Reis, Palmwein im Plastiksackerl und äußerst nette Gesellschaft!

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Die nächsten zwei Tage widmeten wir bei einer Rollertour mehr dem puren Leben als dem Tod. Während Thomas den Scooter Kilometer für Kilometer sicher durchs Toraja-Tal brachte, navigierte Kathi den Weg zu unbekannten Zielen, um dann schließlich doch irgendwo anders zu landen. 🙂 Doch wenn der Weg zum Ziel wird und man gemeinsam diese unendliche Freiheit, die einem der Wind in die (Bart-)haare bläst, genießt, dann ist jedes Reisfeld schöner als ein Ort im Reiseführer. Die Sonne glitzerte im spiegelglatten Wasser, in dem sich die Büffel zwischen den saftigen, grünen Reispflanzen suhlten. Dazu prägten die hügelige Landschaft, neben diversen Gräbern, auch noch Megalithen Kreise. Denn die Toraja folgen dem Beispiel „Wer hat, dem wird gegeben“. Ab 24 geopferten Büffeln dürfen sich die Nachfahren nämlich auch noch so einen zum Himmel schreienden Stein in den Garten stellen. Bergauf und bergab flitzten wir auf unserem kleinen Gefährt durch winzige Dörfer bis uns der Sonnenuntergang nach Rantepao schickte. Dort packten wir mal wieder Nadel und Faden aus, um das ein oder andere, mittlerweile etwas in Mitleidenschaft gezogene Kleidungsstück zu reparieren. 🙂

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Um den letzten Tag im Märchen noch erlebniswürdig abzuschließen, fehlte uns nur die Besichtigung einer „wartenden“ Person. Nach der Besichtigung der berühmten Felsengräber in Londa, sprang Thomas also über seinen kulturellen Schatten und fragte uns durch bis zu einer Familie, in der angeblich die Großmutter schon seit Jahren im Sarg  ruhte. Auf dem Weg hatten wir natürlich noch das universelle Mitbringsel Zigaretten besorgt um unsere Chancen auf einen Besuch zu erhöhen. Wir bewegten uns innerlich von unserem heimischen Trauerempfinden ans komplett andere Ende, wo die Toraja sich ihrer Gefühle bedienen, als uns von der Familie mitgeteilt wurde, dass nicht nur eine Leiche im Südraum liegen würde, sondern gleich zwei… Der Mann der verstorbenen Frau war nämlich an diesem Tag vor ein paar Stunden einem Herzinfarkt zum Opfer gefallen, womit sich auch die vielen Menschen, die schwarz-rot gekleidet in kleinen Grüppchen im Hof herumstanden, erklärten. Etwas planlos wurden wir von einem Sohn in den ersten Stock des Hauses geführt und interpretierten die indonesischen Worte, die der Mann um das Wort „Formalin“ reihte, als „etwas unangenehm riechend“. Ohne große Umschweife betraten wir den Raum, in dem links auf einem Bett ein Sarg stand und rechts einer toter Mann mit zig Kleidungsstücken bedeckt, lag. Nach zwei Sekunden wurde uns sofort schmerzlich bewusst, warum der Hausherr uns nur bis zur Zimmertür gefolgt war und dass er anscheinend vorhin etwas anderes als „etwas unangenehm“ sagen wollte. Während der Formaldehyd-Dampf unsere Augen dazu zwang sich auf der Stelle zu schließen, fühlte sich ein Atemzug an, als würden Nase und Lunge auf der Stelle verbrennen. Da wir diesem Raum des Todes nicht noch eine Person für eine Reise in den Süden schenken wollten, nahmen wir schnell Reißaus und versuchten mit unserer benebelten Wahrnehmung noch ein kurzes Gespräch mit dem Enkel zu führen. Da unser Kopfnicken und verständnisloses Schauen nicht unbedingt die Kommunikation beflügelte, verabschiedeten wir uns schnell wieder und düsten zum nächsten Reisfeld, wo wir ein paar tiefe Atemzüge machten, während Dr. Google uns schon im Krankenhaus mit Lungenödem sah. Wie hätte dieser unvergesslicher Aufenthalt in der bizarren Welt der Toraja passender enden können, als mit diesem Nahtoderlebnis light?!

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

20170721_131803

20170724_152329

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

 

 

 

 

 

 

 

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s